Die sprechenden Formen: Ein Architektur-Fotograf ist ein ewig Suchender. Fast wie ein Pfadfinder muss er seine Umgebung hellwach, mit einem besonderen Sinn beobachten, sondieren und beurteilen.
Und das nicht etwa hektisch oder schnell wie eine Reportage-Fotograf, sondern in aller Ruhe und mit der notwendigen Zeit. Seine Objekte laufen ihm ja nicht weg. Sie verfallen vielleicht, wie in der Lost Places Fotografie, aber auch dafür braucht´s die Ruhe.
Was bedeutet Architekturfotografie?
Sinn und Ausstrahlung von Gebäuden, sowohl innen als auch außen, lassen sich nur erfassen, wenn man sie studiert, ihre Ausstrahlung zu unterschiedlichen Tages-, Nacht- und Jahreszeiten kennt. Es gibt zwar den dokumentarischen Zweig der Architekturfotografie; hier wird aber im Grunde nur aufgezeichnet und festgehalten – eben dokumentiert und archiviert. Die bildhafte, mehr interpretierende Architekturfotografie, die hier beschrieben werden soll, verlangt vom Fotografen die gedankliche Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gebäude – und seiner Umgebung, denn alles steht in einer Beziehung zueinander und ist deswegen auch untrennbar miteinander verbunden. Als Beispiel für solche Zusammenhänge kann der Kühlturm eines Kraftwerks gelten, der eine Wohnsiedlung überschattet (manchmal im wahrsten Sinne des Wortes), oder das Hochhaus aus Glas, Stahl und Beton, da aus einem alten Geschäftsviertel emporwächst, oder das Haus im Grünen, das sich unauffällig in die Umgebung einfügen soll.
Bei der geistigen Auseinandersetzung mit der Architekturfotografie muss der Fotograf in seine konzeptionellen Überlegungen schon die Zielsetzung für spätere Fotos einbeziehen. Fotografiert er als Amateur für sich selbst – vielleicht als Schulung für seine gestalterischen Fähigkeiten und sein Formgefühl -, hat er natürlich die meiste Bewegungsfreiheit. Anders ist das, wenn im Auftrag fotografiert wird, und sei es nur, um für die eigene neue Website neue Fotos Kunden, Freunde oder Bekannten zu zeigen.
Motive für die Architektur Fotografie gibt es überall. Es ist falsch, anzunehmen, geeignete Motive gäben nur die großartigen Bauten her – also Kathedralen, Hochhäuser, Schlösser und anderes; dass also vor den Erfolg zunächst einmal eine Reise gesetzt wird. Der Bauernhof, die ansteigende Zeile von Fachwerkhäusern, Kirchen der Umgebung, das Rathaus oder das neue Schwimmbad, sogar und gerade in Berlin, bieten sich Hinterhöfe und soziale Brennpunkte und andere Objekte für Außen- und Innenmotive in großer Zahl an. Der Fotograf muss nur hinschauen und über längere Zeit “seine” Motive suchen – und untersuchen.
Die verschiedenen Gesichter der Architekturfotografie!
Wie oben schon kurz angedeutet, haben Gebäude zu unterschiedlichen Zeiten eine ganz unterschiedliche Ausstrahlung und wirken darum immer anders auf den Betrachter. Das gilt sowohl für die äußere Fassade, aber nicht weniger auch für Innenräume, sofern Tageslicht einfällt. Tages- und Jahreszeit spielen eine große Rolle; Ein tief verschneites Gebäude im Winter mit kahlen Bäumen in der Umgebung wirkt ganz anders als im typischen glasig-durchsichtigen Frühlingslicht, wenn die Bäume, vielleicht Buchen, im ersten zarten Grün stehen. Der Innenraum einer Kirche hat mittags eine völlig andere Wirkung auf den Betrachter als zum Beispiel abends, wenn rötliches Licht im flachen Winkel, also typisches Abendlicht, durch die bunten Fenster einfällt. Auch Gebäudefassaden, die zum Nachmittag hin flacher einfallendem Streiflicht ausgesetzt sind, bekommen durch die länger werdenden Schatten größere Plastizität und einen dramatischeren Ausdruck.
Welche Brennweiten und Perspektiven für die Architekturfotografie?
Über die Wirkung des Lichts hinaus hat natürlich die Perspektive große Bedeutung. Sie wiederum ist abhängig vom Standpunkt des Fotografen (erst mal nicht von der benutzten Brennweite). Kurzbrennweitige Objektive führen zu größerer Konvergenz als langbrennweitige, weil sie einen kleineren Abbildungsmaßstab haben und deswegen größere Annährung zulassen. Ich schreibe das hier nur, für alle die wie ich überwiegend mit einer Leica Camera fotografieren, da hier fast ausschließlich Festbrennweiten verwendet werden. In der modernen Fotografie mit den digitalen Spiegelreflexkameras ist das alles kein Problem, da hier meist nur Zoom-Objektive eingesetzt werden. Gut für die Architektur Fotografie sind hier 18-50 mm Objektive.
Ein tiefer Standpunkt lässt alles, was höher liegt, betonter erscheinen und bringt den Vordergrund groß ins Bild. Die Perspektive in Augenhöhe wird vom Betrachter am normalsten, aber auch oft als nichts-sagend empfunden. Je höher der Blickpunkt steigt, desto niedriger, kürzer und flacher erscheinen tieferliegende Formen.
Wie Linien reagieren, macht das folgende Beispiel deutlich. Wenn die Möglichkeit bestände, dass der Fotograf, ausgestattet mit Kamera und Weitwinkelobjektiv, vor einem Hochhaus bei immer gleichem Abstand zur Front wie mit dem Aufzug auf- und abfahren könnte, würde sich folgende jeweils veränderte Situation ergeben:
Am Fuß des Gebäudes muss die Kamera nach oben angewinkelt werden, um das ganze Gebäude zu erfassen; die Linien laufen nach oben zusammen, das Hochhaus wirkt unten breit und oben spitz. Die Linien sind langgestreckt, die Form hoch.
Erreicht der Fotograf genau die mittlere Höhe, kann er die Kamera vertikal ausrichten und erfasst damit – theoretisch – das Gebäude in seiner gesamten Höhenausdehnung. Da es sich von seinem Standpunkt aus in genau gleichen Streckenteilen nach unten und oben ausdehnt und die Kamera vertikal ausgerichtet ist, verlaufen die Gebäudekanten parallel; es entstehen keine stürzenden Linien.
Von oben nach unten fotografiert, wirkt das Gebäude jetzt oben breit und läuft nach unten spitz zu – es scheint auf spitzen Füßen zu stehen. Die Linien “stürzen” durch die Neigung der Kamera wieder aufeinander zu. Aber mit genau umgekehrter Wirkung, wie bei der Aufnahme von unten nach oben. Der räumliche Eindruck von Gebäuden erscheint jetzt kurz, stumpf und irgendwie flacher.
Dieses Phänomen tritt immer dann auf, wenn die Kamera, um eine Gebäude in seiner Gänze zu erfassen, aus der Vertikalen herausgeneigt werden muss. Übrigens ist die Wirkung unabhängig von der Brennweite. Es kommt nur auf den Standpunkt des Fotografen an – muss er aus Platzmangel sehr nahe an ein hohen Gebäude herantreten und verwendet notgedrungen eine sehr kurze Brennweite, oder Zoom-Objektiv (beispielsweise ein 14-24 mm, wie von Nikon), erscheint die Konvergenz der Linien sehr stark. Mit immer größerem abstand braucht die Kamera immer weniger geneigt zu werden. Am Ende bleiben die Kanten wieder parallel, weil die Kamera nicht mehr geneigt werden muss. Im Falle einer langen Brennweite passiert genau das gleiche. Wird die Kamera angehoben, beginnen auch hier parallele Linien zusammenzulaufen. Es wird jetzt lediglich ein kleineres Segment des Gebäudes erfasst, als vorhin mit dem Weitwinkel. Die optischen Grundlagen aber sind die gleichen.
Stürzende Linien in der Architekturfotografie
“Stürzende Linien” können Architekturaufnahmen als Gestaltungselemente eine besondere, himmelstürmende, sogar teils aggressive Aussage verleihen. In Fällen, wo diese Wirkung nicht erwünscht ist, das Gebäude aber von der vertikal ausgerichteten Kamera nicht mehr in seiner Gänze erfasst werden kann, sollte der Fotograf auf ein Shift-Objektiv zurück greifen.
Der Mensch – der Fotograf und die Architektur
Gebäude sind immer von Menschen erschaffen und meist für Menschen gemacht und werden in der Regel von Menschen bewohnt oder besucht. Menschen gehören also untrennbar zur Architektur – mit ihnen sollten deshalb auch Architekturfotos belebt werden. Der Mensch im Architekturfoto vermittelt, ähnlich wie in der Landschaftsfotografie, anschauliche Dimensionen. Ohne Menschen im Bild könnte sich zum Beispiel von den gewaltigen Ausmaßen der Cheops Pyramide – auch Architektur! – keine Vorstellung machen. Im übrigen hat man bei Fotos von unbelebten Gebäuden nur dann automatisch ein Größenvorstellung, wenn vergleichbare Elemente, Türen, Fenster zu sehen sind, deren Größe im Verhältnis zur Größe des Menschen bekannt ist!
Formen und Strukturen
Nicht nur Gebäude in ihrer Gesamtgestalt sind lohnende Motive. Besonders auch Formen, Strukturen, Teile des Ganzen bieten lohnende Motive, wenn sie gekonnt ins Bild gesetzt wurden. Hier kommt ganz besonders die längere Brennweite ins Spiel, weil der Fotograf natürlich nie zu allen Teilen eines Gebäudes direkten Zugang hat. Andererseits lohnt es sich, zugänglichen Details unter Einsatz des Weitwinkelobjektives “auf den Leib” zu rücken, um ungewöhnliche Ansichten manchmal ganz alltäglicher Dinge zu realisieren – ein Treppengeländer, Wasserspeier, den Mittelstein in einem Torbogen oder vielleicht nur das bizarre Muster einer Backsteinmauer im streifenden, warmen Licht der untergehenden Sonne.
Werden Details und Einzelheiten eines Gebäudes herausfotografiert, lässt sich zusätzlich mit dem Einsatz gezielter Schärfentiefe arbeiten,was bei Gesamtansichten in der Regel kaum möglich ist, wenn man einmal von einem unscharf gehaltenen Vordergrund absieht. Ein schmiedeeisernes Balkongitter zum Beispiel oder vielleicht irgendwelche Wasserspiele als herausgehobenes Detail stehen noch besser vor dem Hintergrund in einiger Entfernung, wenn eine möglichst große (offene) Blende verwendet wird – bei längerer Brennweite – und das Mauerwerk dadurch sehr unscharf kommt.
Innenaufnahmen bei der Architekturfotografie
Innenarchitektonische Aufnahmen sind gleichfalls ein lohnendes Arbeitsgebiet. Aber in der Regel nicht ganz einfach zu handhaben, denn oft herrschen ungünstige Lichtverhältnisse. Diesen Mangel auszugleichen, hat der Fotograf rein technisch mehrere Möglichkeiten:
- Verzicht auf zusätzliche Lichtquellen und Langzeitbelichtung vom Stativ aus. Das lässt sich nur verwirklichen, wenn der Kontrast zwischen Lichtern – vielleicht hellen und dunklen Fensteröffnungen – und Schatten – dunkle Ecken – nicht zu groß ist.
- hier macht die HDR Fotografie sinn, da kann man viel experimentieren. Der Kontrast wird hier automatisch ausgemessen. Man sollte aber darauf achten, dass bei Farbaufnahmen nicht mehr als 1,5 Blenden Unterschied verwendet werden und bei Schwarzweißaufnahmen (monochrom) nicht mehr als 2,5 Blenden.
- wenn man durch Langzeitbelichtung schon alles ausgeschöpft hat, kann man noch zusätzliches Licht zur Hilfe nehmen. Für große Räume die sich kaum komplett ausleuchten lassen, lässt sich Wanderlicht einsetzen. Das ist eine seitwärts von der mit offenem Verschluss auf Stativ stehenden Kamera positionierte Fotoleuchte, die geschwenkt wird und mit der ein Helfer, die Ecken ausleuchtet, durch den Raum “wandert”. Der Trick ist, dass er dabei nicht stillstehen, auf keinen Fall zwischen Lichtquelle und Kamera geraten und niemals das Licht direkt in die Kamera richten darf. Mit einiger Erfahrung lassen sich auf diese Weise gleichmäßig beleuchtete (ausgeleuchtete) und in den dunklen Ecken aufgehellte Räume fotografieren.
- Das funktioniert, wenn man keinen Helfer hat, auch mit einem Handblitz, der nicht mit der Kamera verbunden (synchronisiert) werden darf. Dieser wird auf “manuell” gestellt, bei offener Blende und dann in verschiedene Richtungen mehrfach ausgelöst. Das sollte man öfters mal üben um Erfahrung zu bekommen. Auf jeden Fall ist hier eine Belichtungsreihe angeraten.
Gibt es die ideale Ausrüstung für die Architekturfotografie?
Wie bei den meisten fotografischen Arbeitsgebieten gibt es das hier leider auch nicht. Die Gerätezusammenstellung hängt immer von der Arbeitsweise und den Vorstellungen des Fotografen ab. Es gibt einige Standard (Basics), die hier als Hilfestellung kurz genannt werden können. Am besten geeignet sind die SLR, also Spiegelreflexkameras. Hier gibt es umfangreiche Möglichkeiten das beste Objektiv auszuwählen und auch ein Shift-Objektiv zu verwenden. Die neuesten Kameras, egal ob von Nikon, Canon oder anderen Anbietern haben alle die Einstellmöglichkeiten für M (manuell), oder A (Blendenvorwahl). Man kann Belichtungsreihen oder HDR Aufnahmen machen usw.
Für extrem tiefe und exponierte Standpunkte ist immer ein Stativ erforderlich.